Der Abgasskandal betrifft längst nicht nur VW, sondern auch andere Autohersteller wie Daimler. Nachdem der Bundesgerichtshof mit Grundsatzurteil vom 25.05.2020 (Az.: VI ZR 252/19) bereits entschieden hat, dass VW im Dieselskandal zu Schadensersatz verpflichtet ist, wird am 27.10.2020 eine Klage gegen Daimler vor dem BGH verhandelt (Az.: VI ZR 162/20).
Der Kläger hatte im Februar 2017 von privat einen Mercedes C 220 CDI als Gebrauchtwagen gekauft. Das Auto ist mit dem Dieselmotor OM 651 mit der Abgasnorm Euro 5 ausgerüstet. Der Kläger machte Schadensersatzansprüche geltend, weil Daimler in dem Motor eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines sog. Thermofensters bei der Abgasreinigung verwendet habe.
Das thermische Fenster sorge dafür, dass bei Außentemperaturen unter 7 Grad Celsius die Abgasrückführung nicht mehr stattfinde, und der Emissionsausstoß dadurch steigen würde, so dass die gesetzlichen Grenzwerte im realen Straßenverkehr nicht eingehalten würden. Daher stelle das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung dar, argumentiert der Kläger. Daimler steht auf dem Standpunkt, dass die Funktion aus Gründen des Motorschutzes zulässig sei. Dann würden die betroffenen Dieselfahrzeuge in Anbetracht der Jahresdurchschnittstemperaturen zumindestens in Mitteleuropa weitgehend ohne Abgasreinigung fahren.
Nach der europäischen Verordnung (EG) Nr. 715/2007 sind aber Abschalteinrichtungen, die die Wirkung des Emissionskontrollsystems reduzieren, unzulässig. Autohersteller wie auch Daimler beziehen sich auf eine Ausnahmeregelung, nach der derartige Einrichtungen zulässig sind, wenn sie notwendig sind, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen, und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.
Allerdings hat die EuGH-Generalanwältin Eleanor Sharpston den Autobauern einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. In ihrem Schlussantrag vom 30. April 2020 zu dem Verfahren beim EuGH C-693/18 stellte sie klar, dass sie Abschalteinrichtungen grundsätzlich für unzulässig hält, wenn sie im Realbetrieb zu einem erhöhten Emissionsausstoß führen und Ausnahmen nur in engen Grenzen zulässig seien. Ausnahmen sind demnach nur zulässig, wenn sie den Motor vor unmittelbaren Beschädigungen schützen sollen. Funktionen, die dazu dienen, z.B. die Versottung oder Verschmutzung des Motors zu verzögern, seien nicht zulässig.
Der BGH wird aber im o.g. Verfahren voraussichtlich nicht nur entscheiden, ob das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, sondern auch, ob der Kläger dadurch vorsätzlich sittenwidrig geschädigt wurde, und deshalb Anspruch auf Schadensersatz habe.
Das OLG Koblenz hatte dies noch verneint (Az.: 12 U 1593/19). Doch seit der Entscheidung des OLG Koblenz hat sich einiges getan. Verschiedene Gerichte haben Daimler inzwischen wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung verurteilt. Im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast müsse sich der Autobauer zudem zur Funktionsweise der in die betroffenen Diesel eingebauten Abschalteinrichtungen äußern, und auch dazu, welche Angaben er gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt zu den Funktionen gemacht hat. Hinzu kommen die Verfahren beim EuGH zu den Diesel-Abschalteinrichtungen.
„Daimler wird sich nicht länger hinter Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen verschanzen können, sondern muss Farbe bekennen“, so Rechtsanwalt Staudenmayer. Der im Abgasskandal erfahrene Rechtsanwalt geht davon aus, dass der BGH ähnlich wie bei VW entscheiden wird, dass Daimler zur Schadlosstellung der betroffenen Diesel-Kunden verpflichtet ist.