Die bei der Abgasrückführung eingesetzten Thermofenster sind ein viel diskutiertes Thema im Abgasskandal. Nun hat der Bundesgerichtshof erstmals Stellung zu den von Daimler verwendeten Thermofenstern bezogen. Der BGH stellte fest, dass die Verwendung von Thermofenstern alleine noch nicht den Anspruch auf Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung begründen. Dies könne sich aber ändern, wenn weitere Merkmale einer Schädigung hinzukommen, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (BGH vom 19.01.2021 - VI ZR 433/19).
„Mit dem Beschluss hat der BGH die Tür für Schadenersatzansprüche wegen der Verwendung eines Thermofensters weiter geöffnet. Trägt der Kläger hinreichende Anhaltspunkte für sittenwidriges Verhalten vor, darf das Gericht die Klage nicht einfach als unsubstantiiert zurückweisen, sondern muss in die Beweisaufnahme einsteigen. Dann müssen die Autohersteller darstellen, welche Angaben zu Funktions- und Wirkungsweise der Thermofenster gegenüber den Zulassungsbehörden gemacht wurden“, sagt Rechtsanwalt Michael Staudenmayer.
In dem Verfahren vor dem BGH ging es um einen Mercedes C 220 CDI mit dem Dieselmotor des Typs OM 651 und der Abgasnorm Euro 5, den der Kläger 2012 als Neuwagen gekauft hatte. Für dieses Modell war kein verpflichtender Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) erfolgt. Der Kläger machte dennoch Schadenersatzansprüche wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters geltend. Dadurch würde die Abgasrückführung bei Außentemperaturen unter zehn Grad reduziert und schließlich abgeschaltet. Dies führe zu einem erheblichen Anstieg des Stickoxid-Ausstoßes.
OLG Köln verletzt Anspruch auf rechtliches Gehör
Das OLG Köln wies die Klage ab, da es keine Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten gebe. Damit machte es sich das OLG aber zu leicht. Es habe den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt, entschied der BGH und hob das Urteil auf.
Zur Begründung wies der BGH darauf hin, dass die Verwendung eines Thermofensters alleine zwar nicht ausreiche, um einen Schadenersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu begründen. Dies gelte selbst dann, wenn ein Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung zu bewerten sei. Sittenwidrigkeit könne aber dann vorliegen, wenn die verantwortlichen Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und diesen Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Genau hierfür habe der Kläger Anhaltspunkte geliefert, indem er vorgetragen hat, dass Daimler im Typengenehmigungsverfahren unzutreffende Angaben zur Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems gemacht habe.
Daimler kann nicht weiter nur geschwärzte Unterlagen vorlegen
Das OLG Köln habe dieses Vorbringen nicht berücksichtigt. Nun muss es den Fall unter diesem Gesichtspunkt erneut aufrollen und eine Beweisaufnahme durchführen. Dann wird sich die Daimler AG im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast dazu äußern müssen, welche Angaben sie gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt zur Wirkungs- und Funktionsweise des Thermofensters gemacht hat. „An diesem Punkt hat Daimler den Gerichten nur unbrauchbar geschwärzte Unterlagen vorgelegt. Mit dieser Taktik wird Daimler nicht weiterkommen. Der Vorwurf der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung wird sich so nicht entkräften lassen“, meint Rechtsanwalt Staudenmayer.
Rückruf wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen
Der Abgasskandal lässt sich bei Daimler ohnehin nicht auf die Verwendung von Thermofenstern reduzieren. Das KBA hat wegen anderer unzulässiger Abschalteinrichtungen wie z.B. der Kühlmittel-Sollwert-Temperaturregelung bereits diverse Rückrufe für eine Reihe von Mercedes-Modellen angeordnet. Daimler hat stets Widerspruch gegen die Rückrufe eingelegt, ist damit aber nun gescheitert. Das KBA hat die Widersprüche von Daimler zurückgewiesen. Zudem haben die Oberlandesgerichte Köln und Naumburg Daimler im Abgasskandal bereits wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung verurteilt.